Wie #Fake entsteht und wohin er führen kann – Felix Beilharz‘ Buch #Fake

Beilharz, Felix. #FAKE: Wie du gefährliche Lügen, Abzocke und Gefahren im Internet erkennst, durchschaust und meidest (German Edition) . Felix Beilharz. Kindle-Version.

Fake-überschwemmt-Internet

Das Buch #Fake von Felix Beilharz sollte man zur demokratischen Pflichtlektüre erklären. Fake gab es schon immer, das Vortäuschen falscher Tatsachen gehörte zur Diplomatie, zur Manipulation von Versammlungen und Parlamenten. Verschwörungsmythen begannen schon mit der Fähigkeit des Menschen zu kommunizieren. Täuschung und Lüge bekamen aber spätestens 2016 eine neue Qualität, als der schwere Verdacht aufkam, dass die Präsidentschaftswahlen mit massiven digital gesteuerten Datenströmen manipuliert wurden. Internet und soziale Medien fungieren hier als Brandbeschleuniger.

Beilharz’ Buch warnt: Fake ist alles andere als harmlos, vielmehr werden Fakes bewusst eingesetzt, um den common sense humaner Gesellschaften zu zerstören. “Es reicht, dass wir die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit grundsätzlicher Prozesse und Abläufe zumindest mal prinzipiell in Frage stellen. Die wenigsten gehen auf die Straße und rufen „Lügenpresse“ oder „Die Wahlen sind manipuliert“ oder stürmen gar den Reichstag, um sich „ihr Parlament zurückzuholen“. Aber das schleichende Gefühl, dass da vielleicht doch etwas dran sein könne, dass das ja nicht alles nur erfunden sein könne oder dass ein wahrer Kern ja den meisten Geschichten innewohne, DAS ist die große Gefahr hier.” (Pos. 339, Kindle)

In dieser Situation einer hochgradigen Verunsicherung gibt nun das Buch einen Leitfaden an die Hand: mit gesundem Menschenverstand und etwas technischem Wissen Fakes zu erkennen und gesellschaftlichen wie persönlichen Schaden zu verringern.

Was für Fake empfänglich macht

Empfänglichkeit für Fakes liegt begründet in Oberflächlichkeit der User. An dem Punkt sollte man präzisieren: es ist wohl eher die Atemlosigkeit, mit der wie durch die endlosen Gänge des Internet und der sozialen Medien hecheln, die uns keine Zeit mehr zur Reflexion lässt. Entschleunigung und Internet-Diät wären angesagt. “Unsere Oberflächlichkeit ist kein neues Phänomen. Bereits 2016 kam eine Studie der Columbia University zu der Erkenntnis, dass 59 % der Links, die über Twitter geteilt werden, keinen einzigen Klick erzielen – auch nicht vom Absender selbst.10 Das heißt, dass sechs von zehn Personen Links weiterleiten, ohne sie überhaupt selbst gelesen zu haben.” (Pos. 369)

Kein Bereich im Internet ist vor Fake sicher

Beilharz führt uns durch bekannte und unbekannte Fälle der betrügerischen Internet- Machenschaften. Er beschreibt genau und anhand zahlreicher Screenshots, wie Menschen täuschende Szenarien aufbauen, um von Nichtsahnende Geld oder ihre Account-Daten zu bekommen. Oder die gezielt mit Fake-News oder Falschmeldungen, gefälschten Szenebildern und tatsachenverdrehungen andere für ihre Verschwörungsideologien zu gewinnen.

Das Buch ist in mehrere große Kapitel eingeteilt, je nachdem, in welchen Sektoren des Internet Betrüger aktiv sind. Beilharz schildert die Verbreitung von Verschwörungstheorien (und anhand welcher Unstimmigkeiten man sie erkennen kann), wie man gehackte Amazonkonten erkennt, mit welchen Tricks sich Betrüger in soziale Profile hacken, wie Fake-Online-shops Gutgläubigen ihr geld stehlen. Oder wie Bots oder IKM Schreiberinnen Liebesgeflüster simulieren (bis hin zur Bitte, einen bestimmten Geldbetrag zu schicken, dass man die Reise für das erste Rendezvous bezahlen kann, das allerdings nie statt finden wird).

Was die Lektüre des Buches so spannend macht: immer wieder wechseln allgemeine Betrachtungen mit der Beschreibung ganz konkreter Fälle von Fake. So z.B. wie Bilder in anderen Kontext gestellt wurden und als “Beweis” dienen sollten; oder wie Falschmeldungen im Verbreitungsprozess zu weiteren Fakes mutierten. Und gerade diese Beispiele zeigen sehr deutlich, wie schnell Zeichen und Botschaften manipulativ missbraucht werden können.

Deep Fakes – der totale Realitätsverlust

Der Schluss des Fake-Reigens gilt den deep fakes, die jedes beliebige Individuum in jede beliebige Videoszene projizieren. Ki-basierte Video-Software verwandelt unsere Medien in eine unwahrscheinlich realitätsnahe Matrix.

Beilharz schließt mit dem Appell, dass sich Eltern, Schulen, Politiker und Portalbetreiber ihrer Verantwortung für die Medienwirkung des Internet besser bewusst werden.

Fake und Semiotik

Was mir einzig an diesem Buch fehlte, war eine kurze zeichentheoretisch oder semiotische Reflexion. Denn die Fähigkeit zum Fake liegt tief in Wesen der Kommunikation selbst begründet. Letztlich kommunizieren wir mit Hilfe von Zeichen, die für etwas, für unsere Botschaft stehen. Und dieses “für etwas” ist leider das prinzipielle Einfallstor auch für Täuschung und Betrug. Oder wie der Altmeister der Semiotik Umberto Eco meinte: Ein Zeichen ist alles, was sich als signifizierender Vertreter für etwas anderes auffassen lässt. Dieses andere muss nicht unbedingt existieren … Also ist die Semiotik im Grunde die Disziplin, die alles untersucht, was man zum Lügen verwenden kann.”(Semiotik, Entwurf einer Theorie der Zeichen, München, S.269.

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