Daniela Rorig: Texten können, Rheinwerk Computing 2020

Der Titel-Anspruch ist vieldeutig – Texten können kann so vieles bedeuten. Korrekt schreiben, anlassbezogen schreiben, die Textgattungen und Stilistiken bis hin zur Rhetorik beherrschen. Der Untertitel verrät die Stoßrichtung des Buches: Handbuch für Marketer, Texter und Redakteure.

Die Notwendigkeit eines solchen Handbuches ergibt sich aus zwei Aspekten: Einmal wollen Menschen mit ihren Texten bei ihren Lesern etwas erreichen. Zum anderen sind die meisten Texte anscheinend nicht mehr qualifiziert, genau diese Menschen tatsächlich zu erreichen. Texten können verspricht (?) seiner Zielgruppe also, Leser im Mahlstrom des relevanzlosen Texttreibgutes zu erreichen.

Damit grenzt sich dieses Buch auch gleich ab gegen eine ähnliche Spezies, die das Content-Marketing strategisch und operativ beschreibt. Das ist hier nicht gemeint und nicht gewollt.

Ich beginne jetzt einmal von hinten sozusagen, mit dem Fazit. Das Buch ist eine Empfehlung für jeden, der seine Schreibe kritisch reflektieren will. Umsicht ist insofern angebracht, als das Buch eine Fülle an Anregungen und Handreichungen bietet, die man vom Start weg sicher erst einmal nicht so recht überschaut – auch nicht im Grade ihrer jeweiligen Relevanz.

Vom großen Ganzen ins kleine Detail

Der erste der vier Teile dreht sich um die Überzeugungskraft eines Textes – wie kann sie erzeugt werden, ohne in den Untiefen der seichten Werbesprache zu stranden? So entwickelt die Autorin auf Basis von unterstellten Nutzenwünschen der Leser, wie überzeugende Textstrukturen heute aufgebaut sind. Die berühmten Textformeln (BELA, AIDA, Quest – es gibt noch einige mehr, S.43ff) betet sie nicht nur herunter, sondern qualifiziert sie kritisch und entwickelt an Beispielen die jeweiligen Vor- und Nachteile. Auch das folgende Kapitel – Storytelling – (S.75 ff) leiert nicht die Hub-Help-Hero Pyramide herunter, sondern zeigt anhand bekannter Gattungen (Dialog, Szene, Beichte usw.), wie eine solche Story vereinnahmen kann.

Das Textgewand

Bevor der Leser ruft: Aber er hat ja gar nichts an – sollte die Botschaft in ein gekonntes Textgewand gehüllt werden. Rorig startet mit der Markenstimme – das Kapitel sollten auch diejenigen lesen, die sich mit Markenstrategien beschäftigen. Sehr interessant und gelungen fand ich die Schilderung, wie man sich auf die Entdeckung der eigenen Markenstimme vorbereitet: Ich versuche, mich in die Perzeptionshaltung der Writer Persona detailliert einzufinden. (S.116 ff) und daraus – mit Blick auf die ersehnten Kunden-Benefits – eine unverwechselbare Markentonalität zu entwickeln. Auch hier wird der Prozess Schritt für Schritt an Beispielen und Übungen vollzogen.

Gut schreiben können?

Das Folgekapitel: Was ist guter Schreibstil? entrollt dann eher die Standards für gute Textertipps (Lesbarkeit hochhalten, bildhafte Sprache, Amtsdeutsch vermeiden). Aus der Fülle der Tipps hier nur ein Beispiel: Vergleiche nutzen sich bei häufigem Gebrauch ab (viele erleiden die Metaphern-Sklerose) – Rezepte dagegen stellt die Autorin auf S. 165 vor, wie man durch Ersetzen von Begriffen und Verschieben von Bedeutungen frische Kombinationen heraufruft: statt nutzerfreundliche Bedienung setze: intuitiv wie Fahrradfahren.

Leinen los?

Der dritte Teil heißt Schreibtechnik – im Vergleich zu den anderen Buchteilen scheint er etwas verkümmert. Er ist dennoch zentral (steht auch ziemlich genau in der Buchmitte). Denn hier geht es zum einen darum: Wie komme ich ins Schreiben hinein – entwickle ich zunächst eine Struktur, an der ich dann wie an einer Wäscheleine meine Stücke befestige. Oder schreibe ich ohne Rücksicht auf Qualität erst einmal los und versuche dann in einem zweiten Schritt, das Satzchaos zu bewältigen?

Diesen zweiten Schritt beschreibt eigentlich dann Kapitel 10 als das 5-Schritte Redigiersystem. In unerbittlichem Staccato der einzelnen abzuarbeitenden Schritte soll der Text seine perfekte Gestalt bekommen – so wird geprüft auf:

  • Gedankenführung – Klarheit der Argumentation – Effizienz
  • Prüfung des Schreibstils – authentisch – rhythmisch & klangvoll
  • Perzeptionshaltung – überzeugend – humorvoll – human
  • Korrektheit in Grammatik & Rechtschreibung
  • Abschließende Formatierung

Das tägliche Texterbrot

Der letzte Teil des Buches beschäftigt sich nun konkret mit den Textbausteinen einerseits (Formal: Headline, Teaser, Textkorpus) und den Typen verschiedener Webtexte (Startseite, Produktseite etc). Dabei scheint sich mir Kapitel 13 nicht logisch in den Aufbau einzugliedern; denn die Unternehmensdarstellung war eigentlich schon einmal Thema im Vorkapitel Webtexte => About-Seite. Die Schlusskapitel behandeln dann die Gattungen Blog, Social Media und Newsletter. Wer einen Unternehmensblog plant, sollte die Seiten zum Blog S.325 ff lesen: Die Autorin führt den Leser quasi an der Hand in die reale Welt des authentisch wirkenden Bloggens. Dazu stellt sie zunächst vor, welches Mindset beim Bloggen Erfolg verspricht und entwickelt dann die Genres verschiedener Blogposts.

Was zu kritisieren wäre?

Zur Kritik: Wie bei allen Büchern über Content-Marketing, Texten und Schreiben bleibt ein Gap zwischen der erzeugten Textform und ihrer erhofften Wirkung. Darüber können sich auch (quasi-)psychologische Begriffe wie Benefit, Kundenwunsch usw. nicht hinwegsetzen. Beispiel: “Menschen kaufen keine Produkte, sie kaufen ein Lebensgefühl.” (S.302) Hier gibt es im Marketing tatsächlich siehr viel differenziertere Analysen zum Kaufanreiz. M.E. waltet bei Kaufentscheidungen eine komplexere Gemengelage von Zweck-Rationalität (direkt erwünschter Produktnutzen) und zwecktranszendenten Motiven (z.B. Produktdesign).

Diese Beobachtung geht direkt einher damit, dass ich bei der Wahl z.B. meiner Powerwörter (S.118) letztlich nie sicher sein kann, welchen Assoziationsraum sie beim Einzelnen umspannen. Es lässt sich nun einmal schwer steuern, ob jemand beim Adjektiv “üppig” halt auch an eine Mahlzeit denkt, an ein Jahresgehalt oder an körperliche Formen. Die Semantik und noch mehr die Semiotik können hier zumindest etwas „Aufklärungsarbeit” leisten, indem sie solche Interpretationsprozesse (Semiosen) analysieren und erhellen.

Ein letzter Punkt: Daniela Rorigs Schreibstil selbst ist forsch, manchmal für mich in ihrer überdrehten Rhetorik etwas bemüht witzig. Beim Lesen habe ich mich ab und an gefragt, ob sie auch anderen Stilarten gebieten kann. Wobei ich stark annehme, dass sie sich beim Abfassen eines juristischen Gutachtens sicher schwer täte (ich mich auch…). Was mich an dem Buch letztlich wirklich gestört hat, war die Wiederholung unnötiger Plattitüden, die dazu begrifflich auch z.T. daneben liegen. Beispiel: Faszinierend schreiben gelingt nur, “wenn Ihr Stil Ihren mündigen, werbemüden Kunden da draußen zusagt.” S.119

Der Begriff “mündig” ist entweder eine Tautologie – oder fehl am Platz. Jemand der nicht entmündigt und mindestens 18 Jahre alt ist, ist mündig – eine Selbstverständlichkeit (Tautologie). Soll er aber bedeuten: rational, dann spielt er auf das berühmte animal rationale des Aristoteles oder den nutzenmaximierenden Homo oeconomicus des Adam Smith an. Und hier darf angesicht des offen liegenden Konsumverhaltens sehr die Frage sein, wieweit hier die “Mündigkeit” reicht. Würde man solche und ähnliche Passagen streichen, würde das Buch an Konsistenz gewinnen.

Mit diesen Einschränkungen kann ich das Buch als Sparringpartner für angehende Texter*innen guten Gewissens empfehlen.Aus aktuellem Anlass: mein Rezensionsexemplar erschien als korrigierter Nachdruck 2020. Mittlerweile leben wir auf einer abflachenden Hypewelle rund um KI. Man könnte sich die provokative Frage stellen, ob in Zeiten von KI solche Bücher noch vonnöten sind? Zumal jeder, der ChatGPT nutzt, der KI Stilvorgaben machen kann, entweder in Form einer vorgegebenen Perzeptionshaltung oder einer Stil-Vorgabe. Nun, ich denke: jetzt erst recht. Denn bei aller Arbeitserleichterung, die KI bietet, sollte die Texter*innen-Kompetenz immer noch beim Menschen bleiben als letzter Instanz.

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