Wann ist eigentlich eine Marke eine Marke? Viele Unternehmen stellen sich vor, dass sie ein Markenunternehmen seien. Aber stimmt das oder ist das eine voreilige Annahme? Auf den ersten Blick könnte man eine Marke nach Eigenschaften so bestimmen – eine Marke
ist bei der relevanten Zielgruppe bekannt und im Bewusstsein verankert – der Aufmerksamkeits- und Wiedererkennungseffekt sind sehr hoch
besteht in einer komplexen Botschaft, die auf kleinstem Raum komprimiert kommuniziert wird – ein Thumbnail genügt
die Bedeutung einer Marke ist (bei ihrer Zielgruppe) stets positiv besetzt.
In volatilen Märkten können Marken schnell aufgebaut werden (Hello fresh) und genauso schnell zerstört werden (Twitter). Aber wie funktionieren Markenbotschaften eigentlich und weshalb funktionieren sie?
BMW-Marke semiotisch erhellt
Zunächst: eine Marke ist ein kommunikativer Komplex, der multimodal auftritt. D.h. eine Marke wird stets aus einem Logo und einer Leitidee gebildet. Die BMW Marke besteht aus dem blau-weißen Logo und dem Slogan: Aus Freude am Fahren. Das ist alles? Dann müsste es doch einfach sein, eine Marke in Nullkommanix aufzubauen. Jeder gestandene Marketer weiß es anders. Markenaufbau geht nicht über Nacht und wirkt nachhaltig. Ein Marken-Zeichen aufbauen – das kann Jahre in Anspruch nehmen.
Bei dem BMW Logo kann man sehr schön sehen, wie sich das Zeichen in seiner Bedeutung historisch im kulturellen Kontext ändern. Der Ursprung des BMW-Logos wird häufig mit einem sich drehenden Propeller verbunden. Diese Verbindung basiert auf dem Firmenhintergrund von BMW als Hersteller von Flugmotoren. Das blaue und weiße Logo repräsentiert zudem die bayerischen Farben. Der Mythos besagt, dass das Logo den rotierenden Propeller eines Flugzeugs darstellt. https://www.bmw.com/de/automotive-life/bmw-logo-bedeutung-geschichte1.html
Marke als multimodale Bedeutungsmatrix
Die Semiotik kann hier Erkenntnis beitragen, wie eine Marke als multimodaler Komplex funktioniert. Nicht umsonst sprechen wir ja auch von Marken-Zeichen, anhand derer wir eine Marke erkennen.
Semiotik beschäftigt sich bekanntlich mit Zeichen. Mit Hilfe von Zeichen versteht ein Mensch seine Umwelt und Mitmenschen, mit Zeichen kommuniziert er? Ein Zeichen ist nicht nur das, was es an sich ist, sondern verweist auf eine Bedeutung. Charles Sanders Peirce hat im 19. und frühen 20. Jahrhundert in zahlreichen Schriften die Semiotik als Methode / Wissenschaft gegründet. Sein Zeichenkonzept erlaubt uns, die „Bedeutung“ eine Marke und wie sie sich entwickelt, besser zu verstehen.
Zeichen sind Zeichen von Zeichen ….
Bei Peirce haben Zeichen eine Triple-Struktur. Das Zeichen selbst (Repräsentamen – Signifikant) bezieht sich zunächst auf sein Objekt (Signifikat). Das Objekt darf nicht mit einem realen Ding verwechselt werden vielmehr ist es ein mentales Konzept oder eine kulturelle Einheit (Eco). Dieser Zeichenbezug auf das Objekt wird nun seinerseits zum Gegenstand eines Dritten: demn Interpretanten. Der Interpretant ist wieder ein Zeichen, das sich auf das Objekt bezieht. Das Entscheidende an diesem Konzept ist, dass der Interpretant somit das Einfalls-Tor (Einfall auch im Sinne von neuer Vostellung) weiterer Konzepte oder Bedeutungen wird. Peirce nannte das Semiose. Da das Zeichen stets durch weitere Zeichen interpretiert werden kann auf Grund ihrer Dreierstruktur, ist der „Interpretationsprozess“ in sich virtuell unendlich.
Wie Prof. Mersch schreibt: Dann ließe das entfaltete Zeichendreieck an eine Spirale denken, die zugleich anzeigt, dass die Bedeutung des Zeichens stetig wächst – denn „jedes Symbol ist eine lebendige Sache», wie Peirce schreibt; «sein Körper ändert sich langsam, während seine Bedeutung unvermeintlich wächst, indem sie neue Elemente inkorporiert und alte entfernt““ (Dieter Mersch, Semiotik und Reationalitätskritik, S. 3)
Ein Marketer würde hier sagen: der Interpretant bietet den Ansatzpunkt eines unendlichen Storytellung!
Wir benötigen noch zwei Begriffe, die beim Markenaufbau eine Rolle spielen: Multimodalität und Code.
Ein Code sorgt im Prinzip für eine Isomorphie zwischen zwei getrennten Element-Mengen. Wenn ich „Hund“ höre oder lese, stellt sich ein Konzept eines schwanzwedelnden Vierbeiners ein – der nicht unbedingt schon einer konkreten Rasse zughören muss. Der Bezug zwischen dem Zeichen und seiner Bedeutung (Konzept) ist arbiträr. Verschiedene Sprachen haben für das Konzept „Hund“ verschiedene Zeichen (dog, chien, cane). Der Code ist sozusagen die Gebrauchsanweisung für das Zeichen.
Auch Bilder (Icons) sind – nach Eco – codiert, d.h. sie sind nur verständlich innerhalb eines kulturellen Kontextes, der den Bildelementen eine Bedeutung zumisst. Napoleon auf einem Bild erkenne ich nur, wenn ich schon in der Historie so weit bewandert bin, dass ich ihn als diesen korsischen Kaiser Frankreichs erkennen kann. Bildcodes sind nicht derart fest gefügt, wie bei Worten (Symbolen), sie spannen daher auch einen weiteren Verstehensspielraum auf.
Auch Sprache hat ikonische Momente, die sich insbesondere beim gebrauch von Metaphern zeigen. Z.B. ist das Wort Tischbein als Metapher zu werten, die aber durch Sprachroutine letztlich in ihrer Ikonizität abgeschliffen wurde. Codes verlieren an Ausdruckskraft und werden mit der Zeit selbstverständlich. Man kann von abblassenden Codes sprechen.
Mulitmodalität – Zeichen- und Code-Mix
Hiermit sind wir beim Thema Multimodalität. Es handelt sich hier im Prinzip um die Komplexbildung von Botschaften aus mehreren Zeichentypen, bei Marken bestehen sie aus einer Bedeutungsmatrix aus textlichen und ikonischen Elementen (Bild, Video). Es können aber hier auch andere sensorische Elemente eine Rolle spielen. Bei der Lidl Radiowerbung bekommt eine etwas durchdringende Frauenstimme die Sprecherinnen-Rolle. Die Stimmtonalität ist hier schon bestimmend und ein „Markenzeichen“.
Multimodalität tritt wie selbstverständlich in digitalen Medien auf, wo Text ohne visuelle Medien kaum noch vorstellbar ist. Wir hatten oben gesehen, dass Bilder eher schwach codiert sind, also ihre Interpretation einen weiten Spielraum beanspruchen kann. Das bedeutet allerdings auch, dass bei ihrer Auswahl besondere Sorgfalt erfoderlich ist. In multimodalen Botschaften entstehen zwischen den Zeichentypen Text und Icons Code-Interferenzen, die nicht in der Abbsicht des Unternehmens liegen. Auch Konzernen können solche Missgriffe passieren:
Der Versuch, dem Mädchen den coolen Habit eines Audifahrers (Sonnebrille, gelassenes Anlehnen) zu geben und so die Ziegruppe zu assoziieren, ging deutlich daneben. Die isomorphe Codierung zwischen Mädchen und Zielgruppe war die Absicht dieses Auditweets – die Öffentlichkeit interpretierte das Bild aber völlig anders: Autos stellen für Kinder im Straßenverkehr eine gefahr dar. Unternehmensinterne Blindheit für verschiedene Decodierungsoptionen führen dann zu solchen Ergebnissen.
Was kann die Semiotik nun zum Thema Markenaufbau und -pflege beisteuern?
Ganz schön viel, wenn man bedenkt, dass alles als Zeichen aufgefasst wird. Jede Marke, jedes Produkt kommuniziert bewusst oder unbewusst mit Zeichen. Wenn wir uns mal die verschiedenen Aspekte einer Marke anschauen, ihren Leittext, Slogan, ihre eigene Bildsprache, dann wird klar: Eine Marke ist im Grunde genommen ein codebasiertes Zeichensystem. Nur mit dem Unterschied zur menschlichen Sprache: das Unternehmen muss diesen Code mit Hilfe vorhandener kultureller Codes erst erschaffen! Es geht darum, diese Zeichen und Codes gezielt einzusetzen, um die Wahrnehmung einer Marke bewusst zu beeinflussen.
Zusammengefasst:
- Semiotik ermöglicht gezielte Nutzung von Zeichensystemen zur Veranschaulichung komplexer Unternehmenskultur.
- Semiotik hilft bei der Identifizierung der richtigen Zeichen für die Markenentwicklung.
- Semiotik unterstützt das Verständnis und die Steuerung der Wahrnehmung deiner Marke.
- Semiotik eröffnet neue Perspektiven und hilft bei der richtigen Ansprache von Menschen.
- Semiotik liefert tiefere Erkenntnisse und deckt „kommunikative Fehlritte“ auf, sie lässt sich also als Frühwarnsystem vor möglichen Shitstorms einsetzen.
Zuerst erschienen in: https://www.onetoone.de/artikel/db/837069cr.html