X für Twitter – Zerstörung einer Marke

Elon Musk hatte nach seiner Übernahme von Twitter für erhebliche Änderungen in der Organisation gesorgt. Seine Vorliebe für hemmungslos ungefiltertes Posten (vulgo Meinungsfreiheit) ließ ihn auch hohe Einnahmeverluste aus der Werbung in Kauf nehmen. Angeblich hat sich der Unternehmenswert von Twitter schon seit seiner Übernahme mehr als halbiert. Nun kam ein weiterer Schritt hinzu, der die Marke Twitter endgültig zerstört. Das Markenlogo, der zwitschernde Vogel musste einem typografisch modellierten X weichen.

 

Ich selbst hatte am 24.07.23 ein Seminar über Marketing mit Twitter gehalten. Meine Teilnehmer und ich erlebten in Echtzeit den Tausch des Logos. So trat plötzlich das X an die Stelle des alten Twitterlogos. Die Reaktionen auf die Ankündigung des Markenrelaunches waren schon im Vorfeld vernichtend. Gleichzeitig fragten sich einige, was denn noch hinter der Absicht der Markenvernichtung stecken könnte. Soll Twitter eine ubiquitär funktionale Plattform werden, für die das alte Markenzeichen nicht mehr stehen konnte?

 

Betrachten wir das Ganze einmal aus der zeichentheoretischen Warte. Der Name und das Logo waren derart eng miteinander verbunden, dass eine Loslösung des einen vom anderen die Marke selbst im Kern treffen musste. Der blaue “fröhlich” (weil aufwärts gewandte) zwitschernde Vogel, dieser Name – das alles bildete einen engen multimodalen Zeichenverbund. Zumal der Markenname zugleich das Format der Tweets assoziierte; denn Zwitschern besteht ja eigentlich auch aus kurzen Tonfolgen – und so war der Tweet ursprünglich einmal auf 140 Zeichen begrenzt. Schon die Erweiterung auf 280 Zeichen schien vielen ein Markenverstoß. Und dass nun zertifizierte Accounts Romane von 25.000 Zeichen schreiben sollen, pervertiert ohnedies das Markenbild.

 

Nehmen wir nun das X als neues Marken-Zeichen. Eine kleinere deutsche Plattform hatte es ja schon vorgemacht: Aus OpenBC wurde Xing – Crossing. Das “Kreuzen” sollte die Assoziation des Ständigen-Wege-Kreuzens und -Begegnens mitführen – die Marke betonte den Netzwerkgedanken.

Aber das Zeichen X ist ein Chamäleon – steht es doch auch für die Allerwelts-Variable in mathematischen Gleichungen. Es kann sozusagen alles und jedes sein, jeden Wert annehmen. Ja und dann ist da noch die christliche Anspielung auf das X in Xmas – Weihnachten, die Inkarnation des göttlichen Wesens im Menschen Jesus. Was schrieb denn Musk selbst darüber? Interessant ist zunächst ein Tweet, der nur aus 5 Buchstaben besteht und in Elon Musks Account am 23.07.23 veröffentlicht wurde.

 

Deus X – Gott X. Manche deuteten es als den Deus Ex machina – Gott aus der Maschine – damit ist aber der Kunstgriff der griechischen Tragödie, insbesondere seit Euripides, gemeint: Der Gott, der aus der Theatermaschinerie heraus kommt und die tragische Verstrickung löst.

Nun, wenn X Gott sein soll, dann dürfte sich Musk mit seinem Tweet als Vertreter der negativen Theologie outen. Denn so steht die Unbekannte für das göttliche Prinzip. Passt dazu nicht, dass er das Markenblau gegen Schwarz austauschen und den dark mode verbindlich machen will (was angeblich wieder zurückgenommen wurde)? Denn die besagte negative Theologie verneint nicht nur alle positiven Aussagesätze, die menschlich über Gott gesagt werden könnten. Sie negiert auch die Negation – es bleibt nichts, als das Unsagbare, die Leere, das Schwarz.

Es würde zu einem weiteren Tweet (sorry Elon) passen, der am selben Tag veröffentlicht wurde und im Kontext des Markenzeichen-Wechsels steht: To embody the imperfections in us all that make us unique (23.07.23, 6:29)

Der Guardian (und andere folgten ihm) geht so weit zu behaupten:

Mon 24 Jul 2023 20.51 BST – https://www.theguardian.com/technology/commentisfree/2023/jul/24/elon-musk-twitter-x-rebrand

On Sunday, in a series of posts that surely won’t be called tweets for much longer, Elon Musk reasoned that his company’s new logo, a badly rendered letter X, embodies “the imperfections in us all that make us unique”. What does he mean by that? He, of course, has no idea. This is a man with a terrible, terrible history for naming things. Verkörperung der Unvollkommenheit als Principium individuationis. In der Tat macht er hier eine indirekte Anleihe an den Satz des Barockphilosophen Spinoza, dass alle Determination eine Negation (aller anderen Möglichkeiten) ist. Omnis determinatio negatio! Schließt sich so der Kreis vom X als Symbol des fernen Gottes zum Eingeständnis der eigenen Unvollkommenheit?

Nietzsches X war schon

Friedrich Nietzsche hat in einem weniger beachteten Text über Lüge und Wahrheit ebenfalls das X als Symbol herangezogen. Aber als Symbol wofür? In seinem kurzen Text “Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne” führt er alles Verstehen des Menschen auf Sprache zurück. Die Sprache selbst aber versteht er nicht in dem Sinne, dass sie die Dinge in ihren Realitäten erreicht. Sie gaukelt nur die Wahrheit ihrer Aussagen sozusagen vor. Vielmehr sieht er in der Sprache nur ein geschlossenes System zahlloser metaphorischer Bezüge von Worten, die meinen, etwas zu verstehen zu geben. Der Mensch ist nach Nietzsche sprachvergessen – er hat vergessen, dass Sprache ein Machtmittel ist gegen die Natur und andere, aber kein Erkenntnismedium. Ein Wort, ein Satz bezeichnet nichts, was wir meinen zu bezeichnen. Ein Wort – so Nietzsche – steht für ein X – eine ewige Unbekannte:

“Wir glauben etwas von den Dingen selbst zu wissen, wenn wir von Bäumen, Farben, Schnee und Blumen reden, und besitzen doch nichts als Metaphern der Dinge, die den ursprünglichen Wesenheiten gar nicht entsprechen. …. So nimmt sich einmal das rätselhafte X des Dings an sich einmal als Nervenreiz, dann als Bild, endlich als Laut aus. Logisch geht es also jedenfalls nicht zu bei der Entstehung der Sprache, und das ganze Material, womit später der Mensch der Wahrheit, der Forscher, der Philosoph arbeitet und baut, stammt, wenn nicht aus Wolkenkuckucksheim, so doch jedenfalls nicht aus dem Wesen der Dinge.” (Nietzsche Werke in 3 Bänden Darmstadt, Bd 3 S. 312f)

Selbst-Verblendung des Sprachwissens – liegt hier das Motiv der radikalen Aktion? Musk als Direktor des sprachverliebten wie -vergessenen Wolkenkuckucksheims?

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