Content Marketing | Das Praxishandbuch für Unternehmen, Sepita Ansari, Wolfgang Müller et al. mitp Verlag 2017
Um es vorweg zu sagen, das Buch hat einige Vorzüge, die leider auch zugleich in gewisser Hinsicht Nachteile sind. Das Versprechen des Praxisbezugs, der im Titel angesagt ist, wird eingelöst. Die Beispiele sind sicher hilfreich und anschaulich, aber auch nicht für alle Branchen in gleicher Weise umzusetzen und manchmal auch sehr speziell (s.u.).
Das Buch ist eine Gemeinschaftproduktion mehrerer Autoren/innen der Agentur Catbird Seat. Vor- und Nachteile auch hier: die unterschiedlichen Perspektiven auf das Thema sind aufschlussreich, bedingen aber auch gewisse Inkonsistenzen im Aufbau.
Methodisch zeigt das Buch zahlreiche Schwächen bzw. empfiehlt Methoden ohne kritische Einschränkungen, z.B.: Die Affinitätskategorien sowie die weiteren Kategorien aus der Google Webanalyse (S.43f, sie heißen mittlerweile Kategorien gemeinsamer Interessen) sollen Grundlage für Themen- und Keywordfindung bei der Zielgruppe sein. Möglicherweise schwindet hier die Datengrundlage schnell, wenn keine App-Werbe-IDs oder Double-Click Daten in Firmenrechnern gespeichert sind. Zumal etliche Browser third-party-Cookies ohnedies ausschließen – so ist die Datenbasis möglicherweise nicht nur verschoben, sondern auch wenig belastbar. Auswertungen zeigen, dass für etwa 30 % der Besucher demografische und Interessendaten ausgegeben werden. Welchen Minimaltraffic benötige ich, um belastbare Daten zu erhalten?
Aber von vorne: Die Kapitel-Struktur des Buches folgt dem klassischen Aufbau von Content Marketing. Content Strategie mit ihren Elementen, Planung, Produktion, Distribution und Controlling. Führungsinstrumente wie die SWOT Analyse werden an verschiedenen Punkten eingesetzt. Eine interessante Anregung ist, dieses Instrument auf verschiedenen Ebenen wie Zielgruppenansprache, Audit, Content für die Customer Journey und zuletzt für die Strategieformulierung einzusetzen.
Die Komplexität der Thematik rund um Content Marketing bringt immer wieder die Ordnungssystematik ins Wanken. Ziele müssen messbar sein, aber KPI Details aus der Webanalyse gehören in den Controlling-Bereich. Das Kapitel Storytelling hätte ich nicht im Strategiekapitel erwartet, sondern im 4. Kapitel: Content Formate und Produktion.
Content- und Themenplanung
Content- und Themenplanung – auch hier gute Ansätze gemischt mit problematischen Aussagen. Das Hygiene-Hub-Hero-Modell von Google strukturiert grob die zeitliche Abfolge der verschiedenen Formate. Themenfindung geschieht dann anhand der typisierten Suchanfragen während der Customer Journey, die nach der etwas abgewandelten AIDA- Formel die unterschiedlichen Fragestellungen der Besucher thematisiert und beantwortet. Das ist ein interessanter Ansatz, der im Folgenden aber wieder relativiert wird. Beim Keyword Clustering tauchen nämlich wieder Ungenauigkeiten auf: Eine Navigationssuche sucht eine bestimmte URL, ggf. sogar thematisch eingegrenzt. Suchmaschinen ersetzen hier die Navigation oder interne Suche einer Seite. Eine Transactional Search besteht selten aus einer Shorttailanfrage (Poloshirt) sondern meist aus einem Longtail: “Poloshirt unter 30 €” “Poloshirt online kaufen” usw.
Kanalplanung (mit Unterstützung der Webanalyse), Redaktions- und Ressourcenplanung werden kurz und bündig dargestellt und im so genannten Content-Management-Prozess zusammengefasst.
Contenterstellung und -distribution
Kapitel 4 gibt einen Überblick über die Optionen der Content-Erstellung (Inhouse oder Outsourcing) und die Content-Formate. Beim Lesen des Kap.4 habe ich mich gefragt, ob das zu sehr aus der Agenturperspektive und damit des Projektmanagements geschrieben ist; denn Content Marketing ist ein permanenter Prozess im Unternehmen, der einzelne Maßnahmen als Projekt organisiert.
Im 5. Kapitel geht es um Content-Distribution, beginnend mit einer kurzen Einführung in die Unterschiede von Owned, Paid und Earned Content. Hier werden die Themen SEA, Social Media und PR kurz abgehandelt. In SEA hätte ich mehr Tipps für Anzeigentexte erwartet, während die Frage nach der Keywordselektion mehr Platz einnimmt (was ich aber eher in einer Arbeit über Advertising erwarte). Auch der Satz, man müsse nun eine Landingpage finden, hilft bei der Frage, was eine solche gute Landingpage ausmacht, nicht weiter. Einen Hinweis auf optimierende A/B-Tests habe ich nicht gefunden. Im Unterkapitel PR hätte ich zumindest auch den Hinweis auf Online-PR erwartet. Das Thema Linkbuilding schließt das 5. Kapitel ab, aber m.E. ist auch dieses Kapitel deplatziert. Das Beispiel von brokeandbookish ist anscheinend eine Blogparade, die Blogger einlädt, zu vorgegebenen Themen zu schreiben. Das Beispiel ist nun schon sehr speziell, gefolgt vom Allerweltstipp: “Ohne den richtigen Content bekommt man keine guten Links” (168). Die ganze Thematik und speziell die Anatomie eines perfekten Backlinks gehört dann auch eher in Kapitel 6: SEO.
Content-Marketing für SEO / Content Controlling
Auch das SEO Kapitel ist nicht schlüssig durchstrukturiert. Es beginnt mit Googles Algorithmus und seiner Geschichte. Onpage-Optimierung startet bei der Keywordrecherche und geht dann über in ein neues Unterkapitel Wettbewerbsanalyse (181) um dann die Optimierung des HTML Codes im Rahmen der Onpage-Optimierung fortzusetzen. Nach Spezialitäten wie Rich Snippets kommt plötzlich die Frage auf, wann Google weitere Sitelinks in den Treffern zeigt (was zunächst mit SEO wenig zu tun hat), um dann auf die robots.txt Datei überzuspringen. Auf Geotargeting folgt nun plötzlich die Strukturierung mit Überschriften (193) – Bilder und Grafiken gehen dann fast ganz unter. Nach technischen Optimierungstipps kommt nun wieder die Textoptimierung u.a. mit der Keyword Frequenz bei inverser Dokumentenhäufigkeit (WDF*IDF) (209f) usw. Systematisches SEO geht anders.
Auch das letzte Kapitel zum Controlling fällt schwach aus. Bei Sitzungsdauer kein Wort davon, dass Ausstiegsseiten standardmäßig keine Sitzungsdauer haben und Absprungseiten ebenfalls die Besuchsdauer 0. Beim Kampagnentracking kommt zwar das Tagging zu Ehren, was aber fehlt ist, dass Ziele auf mehrere Quellen attribuiert werden müssten. Lesedauer, Scrolltiefe und die KPIs (besser aufbereitet) aus dem anfänglichen Zielekapitel wären hier am Platz gewesen.
Webanalytics für 135.000 €?
Noch ein Bonmot zum Schluss: Die Autoren berichten begeistert von der neuen Entwicklung von Googles Marketing Suite Google Analytics 360. Die Begeisterung interessierter Firmen dürfte bei einem Startpreis von 135.000 € p.a. ziemlich schnell abflauen.
Fazit: Für Einsteiger in das Thema mag das Buch hilfreich sein, insbesondere wegen der Beispiele, einiger hilfreicher Tools und des Anreißens zahlreicher dem Content Marketing zugehöriger Aspekte. Wer tiefer in die Materie einsteigen will, sollte zu anderen Titeln greifen.